Der Pfeilbogen aus Oberfacht

Es ist allein der besonderen Bodenbeschaffenheit zu verdanken, dass so viele Artefakte aus Holz aus dem alemannischen Gräberfeld von Oberflacht (Deutschland) geborgen werden konnten – und der Kunst der modernen Konservierungstechnik, dass sie uns die wertvollen Stücke erhalten bleiben.

Kunstvoll gedrechselte Kerzenleuchter, Möbel, Spanschachteln und vieles mehr, zeugen von der überaus hoch entwickelten Kunstfertigkeit  der Holzverarbeitung. Zu den wertvollsten Funden zählen auch die drei merowingerzeitlicher Bogenwaffen.

Anmerkung: Auf sämtlichen, mir bekannten Publikationen sind die Pfeilbogen verkehrt, d.h. mit dem oberen Wurfarm nach unten aufgenommen. Links die richtige Darstellung.

Die drei Eibenbogen aus den Oberflachter-Gräbern 8, 7 und 21 (v.l.) stellen die am besten erhaltenen Schusswaffen der Merowingerzeit dar. Hier sind sie zusammen mit einem Erlenholzschild aus demselben Gräberfeld abgebildet.

Bild: Die Alamannen, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg

 

 


 

 

Das Holz aus dem Bogen (-Träume ) sind



Das Holz der Eibe (Taxus baccata), hier ein Beeren tragender weiblicher Baum, ist meiner Meinung nach das wohl edelste und beste aller Bogenhölzer Europas. Es fand mit seinen hervorragenden Eigenschaften schon in der Steinzeit und nicht erst bei den Alemannen als Bogenholz Verwendung.



Querschnitt durch ein Eibenstämmchen. Deutlich hebt sich das helle Splintholz (junges Holz) vom dunkleren Altholz ab. Bei der Wahl des Holzes gilt: je dichter die Jahrringe, umso besser sind die Wurfeigenschaften des Bogens. Bei der Esche – ebenfalls ein taugliches Bogenholz – ist es genau umgekehrt. Dort sind möglichst dicke Jahrringe von Vorteil.



Der Schnitt durch den Bogenarm zeigt hier das klassische D-Profil des englischen Langbogens. Wiederum ist deutlich zu sehen, wie sich das dunkle Altholz vom hellen Splint abhebt. Der Anteil des Splintholzes sollte im Idealfall lediglich einen Viertel bis Maximum einen Drittel im Verhältnis zum Altholz betragen. (Übrigens führte der erkennbare aber feine Riss zum Bruch dieses Bogens.)



Für die Wurfkraft des Bogens ist allein das Altholz verantwortlich, denn es baut den nötigen Druck auf. Das überaus elastische Splintholz kompensiert lediglich die enormen Zugkräfte. Ohne das Splintholz, das den Bogenrücken bildet, würde der Bogen brechen. Den Bogenbauch bildet das Altholz.


Einfache Werkzeuge
 

Auch wenn die Werkzeuge primitiv, ja nahezu archaisch anmuten mögen, so ist der Bogenbau selbst eine überaus komplexe Handwerkskunst, die viel Erfahrung, Verständnis für das natürlich gewachsene Holz und einiges an Geduld verlangt.



Ein Ziehmesser für das Grobe, ein Hobel für die Seiten, evtl. ein Schweifhobel und vor allem Ziehklingen genügen, um einen guten Bogen zu bauen.



Für das Finish: getrockneter Schachtelhalm (Equisetacea) zum Schleifen und zum Schluss Pferdehaar für die Politur.

Nachbau eines Alemannenbogens
 

Ausgestattet mit dem nötigen Wissen und Werkzeug, wagte ich mich an den Nachbau eines merowingerzeitlichen Bogens vom Typ Oberflacht.
Die Länge des Bogens weicht von den Originalen ab und ist auf meine Körpergrösse abgestimmt.

Dieser Bogentyp weist gegenüber dem englischen Langbogen, der rund 700 Jahre später entstand, einige Besonderheiten auf. Einmal weisen seine Wurfarme kein D-Profil, sondern ein fünfeckiges auf. Während das Griffstück am Langbogen kaum abgesetzt ist, weist der Alemannenbogen eine (über-) grosse Handhabe auf.


 

An den Griffenden des Bogens aus Grab 7 wird der Niveauunterschied zwischen Handhabe (Griff) und Wurfarmen in einer geschwungenen Stufe überbrückt und das D-förmige Profil der Handhabe in das fünfeckige der Wurfarme umgestaltet.



Oben der freie Nachbau und unten der Originalbogen aus Oberflacht. Bild unten aus: Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit, von Holger Riesch

Nur mit der Lupe sind die 35 Jahrringe pro Zentimeter des freien Nachbaus zu zählen. Damit ist der Eibenstab von einer ungewöhnlichen Feinjährigkeit, was ihm eine enorme Wurfkraft und damit eine respektable Pfeilgeschwindigkeit mit entsprechender Durchschlagskraft verleiht. Mitverantwortlich hierfür ist aber auch die spezielle Bauweise, d.h. das besondere, fünfeckige Bogenprofil.



Die Druckzunahme zur Spitze der dachförmigen Bauchseite bewirkt einerseits eine zunehmende Steifheit beim Ausziehen des Bogens (er wirkt unangenehm bockig), gleichzeitig werden die Wurfarme mit enormer Wucht nach vorne beschleunigt, wenn sich der aufgebaute Druck beim lösen des Schusses entlädt. Die übergrosse Griffpartie schluckt dabei jede Restenergie des Bogens, weshalb nicht der geringste Handschock zu spüren ist.



Auffällig das überstehende, zunehmend breiter werdende Bogenende mit einseitiger Sehnenkerbe. Die Sehne besteht aus gewachstem Leinengarn, mit sogenanntem flämischem Spleiss.



Bei den Originalbogen ist keine lederne Griffumhüllung nachgewiesen, sie entspricht meiner freien künstlerischen Gestaltung. Kreisaugenmotive und Krieger entsprechen stilistisch jener Zeit.



Ebenso frei ist die Gestaltung des Bogenschiessenden Reiters, inspiriert durch die Goldblechscheibe aus Pliezhausen (rechts).Sie dient als Abschluss- und Zierelement an einem zylindrischen Köcher (keine Nachbau).



Der Alemannenherzog Beroharti auf der Jagd. Deutlich ist beim Eibenbogen des Typs Oberflacht die verhältnismässig grosse Handhabe zu erkennen. Man beachte den Pfeil in der Beschleunigungsphase!

Der Rekonstruktion des alemannischen Köchers aus der Martinskirche in Altdorf, Kanton Uri, ist ein gesondertes Kapitel gewidmet.




Nachbau von Peter Mäder

Fotos von Peter Mäder, sofern kein anderer Quellenhinweis besteht

Literatur

Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit

Holger Riesch, Karfunkelverlag, ISBN 3-935616-09-0

Das Bogenbauerhandbuch Flemming Alrune, Wulf Hein et. Al.

Die Bibel des Traditionellen Bogenbaus Steve Allely, Tim Baker Jim Hamm et. Al.