Vom Kukur zum Köcher

Eine Annäherung an den Köcher von Altdorf

Das Wort Köcher gilt etymologisch als einziges Lehnwort aus der turko-mongolischen Sprache. Aus Kukur und Kokar wurde das
althochdeutsche Kohhar und hielt - im Übergang von 6. zum 7. Jh. - Einzug in den germanischen Sprachgebrauch.

Köcherfunde sind sehr selten, da sie aus vergänglichem organischem Material wie Holz und / oder Leder bestanden. Daher sind der nicht erhaltene, jedoch beschriebene Köcherfund aus dem alemannischen Fürstengrab von Gammertingen, Kreis Sigmaringen sowie jener aus dem Grab des vornehmen Alemannen, in der Martinskirche von Altdorf, Kanton Uri, ausgesprochen wertvoll, da sie einen
Einblick in Form und Bauweise der zur Merowingerzeit verwendeten Pfeilbehälter liefern.



Köchergräber 76 und 77 von Basel-Kleinhüningen. Schraffiert die vermuteten Köcher, wie sie schon von den hunnischen Reitervölkern verwendet wurde, mit den erkennbar nach oben gerichteten Pfeilspitzen.
(Aus: Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit, von Holger Riesch)

Zur Merowingerzeit existierten nebeneinander zwei Köchertypen. Einmal der zylindrische Köcher, aus Holz und / oder Leder, den man als mitteleuropäische Urform bezeichnen kann, lässt sich doch diese Form mindestens bis in die frühkeltische Zeit nachweisen. So zum Beispiel der Köcher aus dem Fürstengrab von Hochdorf, aus dem vorchristlichen 6. Jahrhundert.

Der Rundköcher war mit 14, mit der Spitze nach oben gerichteten Pfeilen bestückt und wies einen kappenartigen Deckel auf.

Bild: Zylindrischer Köcher aus Leder, hier mit nach unten gerichteten Pfeilspitzen.

 

 

 

 

 



Rekonstruktion der Grabkammer des Fürsten von Hochdorf.
(Bild: Keltenmuseum Hochdorf)

Der zweite Typus entspricht den zentralasiatischen Reiterköchern, wie sie seit der Hunnenzeit in Europa bekannt sind. Mit ihrem ovalen, oder flachovalen Design, sind sie dem Schiessen zu Pferd angepasst.

Der merowingerzeitliche Kulturraum kopierte die fremden Reiterköcher seit dem späten 6. Jh. n. Chr., und zwar mehrheitlich nach der awarischen Einwanderung in Pannonien (Ungarn).  Über die Langobarden verbreitete sich dieser Köchertyp im nördlichen (Vor-) Alpenraum, wie die zahlreichen alemannischen Köchergräber, mit nach oben gerichteten Jagd- und Kriegsspitzen beweisen.



Die Illustration aus dem Stuttgarter Psalter (um 830 n. Chr.) gibt ein Kampfgeschehen zwischen Awaren und Franken wieder. Etwas Kurios mutet die Reittechnik der Bogenschützen beim sogenannten „parthischen Schuss“ an.

Der Köcher von Altdorf
 

Der im Alemannengrab von Altdorf gefundene Köcher besass einen zweischaligen Lindenholzkorpus von
3 – 5 mm Wandungsstärke. Die beiden Teile waren aus einem Stück heraus gearbeitet und mit Holzstiften fixiert worden.

Wie die Rekonstruktionszeichnung zeigt, war Vorderseitig ein Flechtbanddekor eingeschnitzt. Ferner hatte man der Korpus mit einem dünnen Rindsleder überklebt, das mit Pressmustern versehen wurde.

Der im Profil längsovale und zum Boden hin – zur Aufnahme der Befiederung – kontinuierlich breiter werdende Pfeilbehälter ist rund 70 cm lang und weist im Bereich der Mündung eine Breite von 7,8 cm sowie eine von 8,5 cm am Fuss auf. Die beiden umlaufenden Nuten von 2 cm dürften der Aufnahme einer Zweipunktaufhängung gedient haben.      

 

 

 

 

 

 

In Anlehnung an den Altdorfer Köcher stellte ich einen Buchenholzkorpus von 2 – 4 mm Wandungsstärke her, den ich mit einem Flechtbandornament, ähnlich demjenigen des Originals beschnitzte.



Bild: Deutlich sichtbar ist die U-förmige Öffnung am Rohling, zur Entnahme der Pfeile.



Die Länge des Köchers ist auf meine Pfeillänge (Auszugslänge am Bogen) angepasst und misst 78 cm. Zur Wahrung der Proportionen beträgt die obere Weite 10 cm und die untere Weite 12 cm. Die umlaufenden Nuten wurden mit 2,5 cm etwas breiter gehalten. Sie werden nach dem Überkleben mit Leder jedoch wieder schmaler ausfallen 2,2 cm.

 

 

 


Köcherrekonstruktion. Der Holzkorpus wurde mit einem dünnen Kalbsleder beklebt und in das geschnitzte Ornament gepresst. Im Gegensatz zum Original beschränkt sich das Flechtbandornament nicht auf die Frontseite, sondern wurde bis zu den Schmalseiten des Köchers weiter geführt. Zum Aufbringen des Leders auf den  Holzkorpus wurde Hautleim verwendet.

Es darf davon ausgegangen werden, dass sich das Ornament auch auf dem unteren, nicht erhaltenen Teil des Köchers fortgesetzte. Deutlich sind die nach oben gerichteten Pfeilspitzen im U-förmigen Ausschnitt zu erkennen. Zur Aufnahme der Befiederung ist der Köcher im unteren Bereich breiter als oben.

Davon ausgehend, dass der Köcher, wie jene Leiterköcher von denen er sich herleiten lässt, von unten befüllt wurde, benötigt er einen Bodendeckel, der im vorliegenden Fall aus organischem, wie beim Original aus vergänglichem Material hergestellt wurde. Es ist, wie oben erwähnt, auch ein alemannischer Köcher mit Metallbeschlägen aus Gammertingen bekannt. Beschläge, so wie sie zum Schliessen des Bodendeckels bei verschiedenen awarischen Köchern belegt sind.



Befüllung des Köchers bei geöffneter Bodenklappe.

Rekonstruktionszeichnung:

So könnte der vornehme, 35 – 40-jährige Alemanne, dessen Grab 1969 in der Martinskirche von Altdorf UR entdeckt wurde, ausgesehen haben. Zu seiner Ausrüstung gehörten ein Schwert, ein schlichter Eibenbogen sowie ein Schild. Daneben das vermutete Aussehen des nicht vollständig erhaltenen Köchers.

Bild aus: Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit, von Holger Riesch

 

 

 

 

 

Zwar nicht in der Martinskirche von Altdorf aufgenommen, aber so ähnlich könnte der vornehme Alemanne seinen Köcher getragen haben.

In die beiden umlaufenden Nute wurde je ein Lederriemen eingelassenen,  bzw. in einer Schlaufe satt festgenäht und diese am oberen Ende ebenfalls mit einer Schlaufe versehen. So kann der Köcher einfach am Gürtel befestigt werden.

Durch die unterschiedliche Länge der Tragriemen erhält der Köcher eine diagonale Lage, was der bequemen Entnahme der Pfeile - sowohl zu Pferd als auch zu Fuss - entgegen kommt, wie der praktische Versuch zeigt.

 

 

 

Foto: Peter Bächtold

 



Nachbau von Peter Mäder

Fotos von Peter Mäder, sofern kein anderer Quellenhinweis besteht

 
Literatur

Die Alemannen, Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg

Holger Riesch: Pfeil und Bogen zur Merowingerzeit. Wald-Michelbach, Karfunkel-Verlag, 2002. ISBN: 978-3-935616-09-6