Das Blutgericht zu Cannstatt

Es ist eine unumstössliche Tatsache, dass die Geschichte seit jeher von den Siegern geschrieben wird und wir neigen dazu, sie zu Vorbildern und Vorreitern empor zu stilisieren, sie mit Titeln zu überhäufen, sie als die Grossen unserer Geschichte zu bezeichnen, wie zum Beispiel den Makedonier Alexander oder den Franken Karl und implizieren, dass Sieger die Guten und Verlierer die Bösen sind.
Doch das Volk der Alemannen verdient eine etwas differenziertere Betrachtungsweise der historischen Fakten. Gleichzeitig soll hier einen Erklärungsansatz geliefert werden, wie es im Jahr 746 n. Chr. zu diesem „Blutgericht“ und damit zum Untergang des alten alemannischen Herzogtums kam.
Bedeutungsvolle historische Ereignisse werfen bekanntlich ihre Schatten voraus, weshalb wir nicht umhin kommen, das Rad der Zeit zurückzudrehen.


 
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Diese Karte vermittelt einen guten Überblick über die Machtverteilung im damaligen Europa. Noch beherrschen die Franken ein ähnlich grosses Gebiet wie die Burgunder oder Alemannen. Es verdoppelt sich jedoch in den Jahren 486/487, als sie unter dem Warlord Chlodwig I. das Reich des Syagrius, dem letzten selbständigen „römischen“ Herrscher in Gallien erobern.

Die Schlacht von Zülpich

Nur zehn Jahre später, im Jahr 496, wurde die Schlacht von Zülpich zwischen den Rheinfranken unter Sigibert von Köln mit der Hilfe der Salfranken unter Chlodwig I. gegen die eindringenden Alemannen ausgetragen. Die Franken siegten über die Alemannen, wodurch letztere entscheidend geschwächt wurden. Die Schlacht von Zülpich ist die zweite von drei Schlachten, die Chlodwig I. gegen die Alamannen führte. Die dritte Schlacht, die im Jahr 506 – so vermutet man - bei Strassburg stadtfand, führte schliesslich zur Unterwerfung und Eingliederung der nördlichen Alemannen ins Fränkische Reich, während die südlichen Alemannen sich unter den Schutz des ostgotischen Königs Theoderich des Grossen stellten.


Bild: Die Schlacht von Tolbiacum (Zülpich), Historiengemälde von Évariste Vital Luminais, 19. Jahrhundert.

Die heidnischen Franken werden Christen

Die Schlacht von Zülpich ist auch als Bekehrungsschlacht überliefert. Im Verlaufe der Schlacht soll der damals noch heidnische Frankenkönig Chlodwig I. seine Taufe für den Fall eines Sieges gelobt haben. Chlodwig I. soll seinen Erfolg eben diesem Versprechen zugeschrieben haben, daher glaubte er an die Hilfe Gottes (Sieghelfer) und wurde angeblich noch im selben Jahr von Bischof Remigius in Reims, zusammen mit weiteren 3‘000 Franken getauft. Auffällig ist die Parallele zu Kaiser Konstantin, der sich Quelltexten zufolge ebenfalls im Zusammenhang mit einer siegreichen Schlacht, der Schlacht bei der Milvischen Brücke gegen Maxentius im Jahr 312, zum Christentum bekehrt haben soll.

Das Motiv des Sieghelfers war bei den Germanen nicht unbekannt, wie die Darstellung auf der goldenen Pressblechscheibe von Pliezhausen verdeutlicht. Der (kleine) Sieghelfer führt mit helfender Hand die Lanze des Kriegers. Führt ihn zum Erfolg.

Bild: Umzeichnung der Pressblechscheibe von Lindsay Kerr

 

 

Aus diesen Gründen ist die überlieferte Darstellung von Chlodwigs Bekehrung mit Vorbehalt zu geniessen. Heidnisch motiviert ist jedoch der Pragmatismus, mit Gott zu handeln: Schenkst du mir den Sieg, dann werde ich Christ.
Tatsache ist, dass Chlodwig I. schon länger mit den Bischöfen kooperierte. Dass seine zweite Frau Chrodechild christlich katholisch war, dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
Da die gallorömische Bevölkerung eine Mehrheit bildete, die von einer fränkischen Minderheit regiert wurde, dürften auch innenpolitische Erwägungen für den Übertritt sprechen. So konnten Spannungen zwischen der christlich-romanischen Mehrheitsbevölkerung und den heidnischen Franken beseitigt werden.
Erhebliche aussenpolitische Vorteile brachte die Taufe ebenfalls mit sich, besonders was die Beziehungen zum mächtigen christlichen Ostrom und dem Kaiser betrafen. Somit verkommt die Taufe zum politischen Kalkül, zumal sich Chlodwig I. selbst als Erbe der römischen Provinzen Galliens sah. Immerhin brachte ihm dieser Schritt den Titel eines römischen Ehrenkonsuls (Patzricius) ein.


Taufe Chlodwig I.; Teilansicht eines Elfenbein-Buchdeckels, Reims 9. Jh.

Ende des ostgotischen Protektorats

Zunächst waren noch nicht alle Alemannen unter die Herrschaft der Franken geraten, aber schon 536/537 überliess der von byzantinischen Truppen bedrängte Ostgotenkönig Witingis dem Frankenkönig Theudebert I. unter anderem Churrätien und das Protektorat über "die Alamannen und andere benachbarte Stämme", um sich die Unterstützung oder zumindest das Stillhalten der Merowinger zu erkaufen. Damit befanden sich ganz Alemannien unter fränkischer Herrschaft.

Der Treueeid der Alemannen

Es wäre infantil, anzunehmen, dass die Alemannen nach deren Unterwerfung sich selbst überlassen blieben und fortan tun oder auch lassen konnten, wie und was sie wollten. Sie waren aber auch weit davon entfernt, in fränkischer Knechtschaft gehalten worden zu sein.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der alemannische Adel nach der Unterwerfung zur Leistung des Treueeides gegenüber dem fränkischen König und dem Haus der Merowinger verpflichtet wurde. Solche Treue- oder Gefolgschaftseide waren durchaus üblich und letztlich wie ein Vertrag bindend. Ihn gegenüber einem König zu brechen bedeutete Hochverrat. Wie uns durch die geschichtlichen Aufzeichnungen überliefert wird, hielten sich die Alemannen fast ausnahmslos an diesen Eid, zumindest solange sie von Königen aus dem Geschlecht der Merowinger regiert wurden.

Nach dem Ableben von Chlodwig I. wurde das Frankenreich unter dessen Söhnen aufgeteilt und gliederte sich grob in das zwischenzeitlich ebenfalls eroberte Aquitanien, Austrien, Neustrien sowie das Königreich der Burgunder.

Alemannien unter den Merowingern

Alemannien wurde durch seinen autonomen Status im Frankenreich als Herzogtum in einem Gebiet gefestigt, das wohl grösstenteils mit dem späteren Herzogtum Schwaben übereinstimmt. Der Schwerpunkt des fränkischen Herzogtums Alemannien lag im Gebiet südlich des Hochrheins und im Bodenseegebiet. Die Herzöge stammten verschiedentlich noch aus vornehmen alamannischen Familien und standen nicht immer in Konkurrenz zu fränkischen Adligen. So gründete zum Beispiel ein alemannischer Herzog das Kloster Reichenau was die relative Autonomie der Alemannenherzöge im Frankenreich bestätigt. Weitere Belege für diese (Teil-) Autonomie, stellen auch die Gesetzeswerke, wie der Pactus Alamannorum sowie die Lex Alamannorum dar, wobei ersteres aus dem ersten Drittel des 7. Jahrhundert und letzteres zwischen 727 und 730 entstand.


Bild: Lex Alamannorum im sog. Wandalgar-Codex, St. Gallen, Stiftsbibliothek

Die alemannische Rechtsaufzeichnung gehört jedoch bereits in den Kontext des Frankenreichs, dessen Könige die Hoheit über die in ihren eigenen Belangen wie dem Recht zwar unabhängigen, aber nicht unbeeinflussten alemannischen Herzöge ausübten. Gleichzeitig wird den Alemannen attestiert, ein eigenständiges Volk zu sein. Ohne Treueschwur hätten die Franken den Alemannen niemals einen derart grossen Spielraum gelassen.

Die Hausmeier

Das Amt des Hausmeiers (lateinisch maior domus also des Verwalters des Hauses) zählte zu den Ämtern des frühmittelalterlichen Hofes und entstand während der Völkerwanderungszeit und ist sowohl bei den Merowingern als auch bei Burgunden und Goten bekannt.  Während dem Hausmeieramt in den meisten germanisch-romanischen Nachfolgereichen des Weströmischen Reiches aber keine grössere Bedeutung zufiel, entwickelte es sich im merowingischen Frankenreich seit dem späten 6. Jahrhundert zu einem der einflussreichsten Hofämter.


Bild: Völkerwanderung (Meister unbekannt) aus der Sammlung Richter.

Den fränkischen Hausmeiern oblag zunächst lediglich die Oberaufsicht über das unfreie „Hausgesinde“ des Hofes. Nachdem das Merowingerreich immer wieder Herrschaftsteilungen erfuhr, wurde auch das Amt des Hausmeiers aufgewertet, der nun für die Verwaltung des gesamten Königsgutes zuständig war. Seit dem späten 6. Jahrhundert nahm ihre Macht im Frankenreich stetig zu und ab dem 7. Jahrhundert waren die Hausmeier faktisch Leiter der Regierungsgeschäfte.

Hausmeier als Usurpatoren

Das Hausmeieramt unter den Arnulfinger-Pippiniden war ein reines Instrument des Adels geworden, die ihre Position nutzten, um die Macht des Königs so weit wie möglich zu beschneiden. Die Pippiniden trieben es so weit, dass die Merowingerkönige nach Dagobert I., er starb im Jahr 639, faktisch wohl nur noch als Schattenherrscher regierten, auch wenn die Hausmeier noch nicht offen die Königswürde für sich bzw. ihre Familie beanspruchen konnten. Erst Mitte des 8. Jahrhunderts wagten die Karolinger den entscheidenden Schritt und setzten den letzten Merowinger im Jahr 751 ab. Das Hausmeieramt wurde von den Karolingern bezeichnenderweise abgeschafft – versteht sich von selbst, denn man weiss ja, wo das hinführt. Der berühmteste Vertreter der einst karolingischen Hausmeier war übrigens Kaiser Karl, genannt der Grosse. Doch erst einmal der Reihe nach.


Bild: König Dagoberts Schenkung an das Bistum Strassburg. Fresko in der Arbogastkirche in Oberwinterthur ZH (sehenswerte Fresken aus dem 14. Jahrhundert)

Schritt um Schritt an die Macht

Der Merowingerkönig Theuderich III. war 673  zum König von Neustrien und Burgund ausgerufen worden, unterlag aber seinem Bruder Childerich II. aus Austrasien, wurde geschoren und in die Abtei Saint-Denis verbannt. Nach Childerichs Tod, im Jahr 675 wurde er wieder eingesetzt. Ab 679 wurde Theuderich III.  auch König von Austrasien und damit war erstmals seit langem das ganze  Frankenreich wieder unter einem König geeint.
Im Jahr 687 zog  der austrasische Hausmeier Pippin der Mittlere gegen König Theuderich III. offen in den Krieg. In der Schlacht bei Tertry siegte Pippin entscheidend, wurde dadurch Hausmeier aller Reichsteile und als princeps francorum mächtigster Mann im Lande. Damit bildete er die Voraussetzung für den Aufstieg der Pippiniden. Er nahm Theuderich in eine Art Geiselhaft, behielt aber der Form halber das merowingische Königtum bei. Theuderich III. lebte bedeutungslos bis an sein Lebensende in Neustrien.

Sein ältester Sohn Chlodwig III. bestieg, noch unmündig, nach ihm den Thron, führte aber wie sein Vater ein Dasein als Schattenkönig. Die Herrschaft lag in den Händen des Hausmeiers  Pippin des Mittleren.


Bild: Galerie Napoleon Paris

 

 

 

 

Alemannischer Widerstand

Vermutlich schon anlässlich von Pippins Feldzug gegen König Theuderich III. jedoch spätestens jetzt dürften die Alemannen in Opposition gegangen sein. Es ist denkbar, dass sie sich mehr oder weniger offen den Anordnungen des Usurpators Pippin widersetzten. Gebunden an ihren Treueeid nahmen sie nur vom Merowingerkönig oder von einem durch ihn Legitimierten Anordnungen und Befehle entgegen, jedoch keinesfalls vom Hausmeier, dazu noch von einem der die Prinzipien des Königtums missachtete. Mit ihrer Haltung standen die Alemannen offenbar nicht alleine da, sonst hätte Pippin selbst nach der Krone gegriffen, doch seine Macht und Akzeptanz waren selbst im Frankenreich noch zu wenig gefestigt, weshalb er das Geschlecht der Merowinger weiterhin, wenn auch formell bestehen liess.

Der Aufstieg eines Bastards

Nach Pippins Tod kam es zu einer kurzen Gefährdung des Machtanspruchs der Pippiniden. Seine beiden Söhne waren bereits vor ihm verstorben. Sein Sohn Karl Martell entstammte der Beziehung zu einer Friedelfrau (Mätresse) und war somit eigentlich nicht erbberechtigt. Es gelang ihm jedoch, sich im Erbstreit durchzusetzen und seinen Anspruch auf das Hausmeieramt und damit auf die Führung geltend zu machen. Er beseitigte innerfränkische Querelen und festigte dauerhaft die Einheit des Reiches. Auch seine militärischen Erfolge sind unbestritten. Sein berühmtester Sieg, die Schlacht von Tours und Poitiers gegen die von der iberischen Halbinsel einfallenden Mauren im Jahre 732, bei der der maurische Anführer Abd ar-Rahman fiel, wird oft als Rettung Europas vor den Muslimen angesehen, obwohl die Schlacht als Einzelereignis weniger bedeutend und im Zusammenhang mit weiteren Kämpfen der Franken gegen die Mauren gesehen werden muss.
Karl Martell führte nicht nur Krieg gegen die Mauren, sondern auch gegen die Sachsen, Friesen, Thüringer, Bajuwaren und Alemannen. Diese Feldzüge dienten der Ausdehnung des Reiches und was die Alemannen betraf, handelte es sich vermutlich um Strafexpeditionen. Zu diesem Zeitpunkt scheinen sie sich bereits offen gegen die Machtausübung durch die fränkischen Hausmeier aufzulehnen.
Kurz vor seinem Tod teilte Karl Martell sein Reich zwischen seinen Söhnen aus erster Ehe, Karlmann und Pippin dem Jüngeren, auf. Karlmann bekam Austrien, Alemannien und Thüringen, Pippin Neustrien, Burgund und die Provence.


Bild: Als Grabstätte wählte Karl Martell die Abtei Saint-Denis, wo mehrere fränkische Könige beigesetzt worden waren. Damit unterstrich er den Anspruch seiner Familie auf die Königswürde. Auf dem Sarkophag dargestellt mit Krone und Zepter.

Der letzte Merowingerkönig

Childerich III. geboren zwischen 720 und 737, verstarb um 755. Er erlangte einzig dadurch Berühmtheit, der letzte König aus dem Geschlecht der Merowinger gewesen zu sein. Als Schattenkönig und Marionette der Hausmeier war er so unbedeutend, dass nicht einmal bekannt ist, ob er der Sohn Chilperichs II. oder Theuderichs IV. gewesen ist.
Im Jahre 737 sperrte der karolingische Hausmeier Karl Martell, der im Frankenreich die wahre Macht ausübte, Childerich vorerst im Kloster Sithiu ein und liess den merowingischen Thron dadurch vorübergehend unbesetzt.


Bild: Wie in der Merowingerdynastie üblich, trug auch Childerich III. lange Haare. Als Zeichen seiner Entmachtung wurde er geschoren und ins Kloster gesteckt.

Erst als Karl Martells Sohn Karlmann im Frühjahr 743 noch einmal einen Schattenkönig aus dem Geschlecht der Merowinger benötigte, wurde Childerich freigelassen und inthronisiert. Die Gründe für diesen Rückgriff auf das legendäre, wenngleich machtpolitisch bedeutungslos gewordene Geschlecht sind nicht ganz klar. Zum einen gab es wohl heftigen Widerstand unter den anderen Adligen und den Alemannen gegen die Macht der Hausmeier. Zum andern stand in diesem Jahr ein entscheidender Krieg gegen die Bajuwaren an, der nur mit einem „rechtmässigen“ König an der Spitze des Staates durchzuführen war. Nur so konnten sich die Hausmeier Karlmann und Pippin der geschlossenen  Gefolgschaft durch den Adel und durch die Alemannen sicher sein.


Bild: Galerie Napoleon Paris

Childerich III. (Abbildung oben) musste zwischen dem 31. Oktober 751 und dem 23. Januar 752 wieder in dasselbe Kloster Sithiu eintreten, in dem er schon zuvor gefangen gehalten worden war. Er hinterliess einen Sohn, der in das Kloster Saint Wandrille eingewiesen wurde. Von ihm ist lediglich der Name Theuderich (Theoderich) bekannt. Vom einst stolzen Geschlecht der Merowinger hörte man danach nichts mehr.

Vom Verwalter zum Herrscher

Pippin der Jüngere hatte sich 734 vom langobardischen König Luitprand adoptieren lassen und sich damit die Stellung eines Königssohnes verschafft. Durch die Hinwendung zum Papsttum und die Unterstützung des fränkischen Adels, erlangte er im Jahr 751 endgültig die Königswürde und wurde damit zum Begründer der zweiten fränkischen Dynastie - den Karolingern.


Pippin der Jüngere, erster König aus dem Geschlecht der Karolinger.

Karlmann und das Ende des alemannischen Herzogtums

Die Brüder Karlmann und Pippin sollten sich, wie vorerwähnt, das Frankenreich als Hausmeier teilen, mussten dann aber kurz vor Karl Martells Tod ihr Erbe auch noch mit Grifo, ihrem Halbbruder, teilen. Grifo wurde noch Ende 741 von Karlmann kurzerhand in ein Kloster gesperrt. Eine, wie es scheint, bewährte Methode.
Im Jahr 746 berief Karlmann die alemannischen Herzöge und Adligen zu einem königlichen Thing nach Cannstatt ein. Gemäss der Thingpflicht dürften die meisten alemannischen Edelleute diesem Aufruf gefolgt sein, ‚amtete‘ zu diesem Zeitpunkt noch immer Childerich III. aus dem Geschlecht der Merowinger, dem sie Gefolgschaft geschworen hatten. Was erhofften sich die Alemannenfürsten von dieser Versammlung? Etwa eine Rückbindung der Macht der Hausmeier? Wir können nur drüber rätseln.
Faktum bleibt, dass nach den Aufzeichnungen der Metzer Annalen, der Annales Petaviani und einem Bericht von Childebrand, Karlmann „viele Tausend“ aufständische Fürsten wegen Hochverrats festnehmen und hinrichten liess. So wurde angeblich nahezu die gesamte Führungsschicht der Alamannen ausgelöscht und die Eigenständigkeit des alamannischen Herzogtums beendet. Die Franken setzten fortan Grafen, u. a. Nachkommen des alten Herzogshauses und alemannische Adlige, aber auch Adlige aus der fränkischen „Reichsaristokratie“ zur Verwaltung Alemanniens ein.


Bild: Germanische Ratsversammlung (Thing) – Relief der Marc-Aurel-Säule zu Rom.

Gericht oder Gräueltat?

Wir dürfen davon ausgehen, dass die Angabe von „vielen Tausend“ hingerichteten Edelleuten – so wie es bei Zahlenangaben damals üblich war – reichlich übertrieben ist. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass Karlmann die Thingversammlung dazu nutzte, die gegenüber den fränkischen Hausmeiern querulierende und ungehorsame Elite Alemanniens zu beseitigen. Damit verstiess er gegen den heiligen Thingfrieden, das ebenso unantastbare Gastrecht und gegen Treu und Glauben.
Doch die Vorgeschichte dürfte uns gelehrt haben, dass sich die machthungrigen Hausmeier weder um solche Regeln oder sonstige Tabus kümmerten. Es vermag wohl kaum zu trösten, dass das „Blutgericht“ von Cannstatt nur ein weiteres Verbrechen in der langen Liste der fränkischen Usurpatoren darstellt.

Das Ende Karlmanns

Nur ein Jahr später trat Karlmann von seinem Amt als Hausmeier zurück und zog sich letztlich in das Kloster Monte Cassino zurück. Es gab zumindest Gerüchte, dass sein Rückzug nicht ganz freiwillig war. Pippin lässt explizit in zeitgenössischen Quellen erwähnen, dass es allein der Entschluss seines Bruders gewesen sei. Pippin übernahm somit, unter Umgehung der Erbrechte von Karlmanns Kindern, die Regentschaft über das ganze Frankenreich.
Karlmann hatte einen Sohn, namens Drogo sowie weitere Söhne, die laut den Quellen im Jahr 753, noch vor dem Tod ihres Vaters, auf Befehl ihres Onkels Pippin ins Kloster überführt wurden. 753 wurde auch Grifo, der Halbbruder von Pippin und Karlmann, von Pippins Grenzsoldaten getötet.

Nachwort

Wilhelm Busch formulierte treffend: Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Das sagten sich damals wohl auch die fränkischen Hausmeier, denn ihr Streben nach Macht sollte sich letztlich bezahlt machen. Karl, einer der Söhne Pippins, wurde schliesslich Kaiser!


Bild: Karls kaiserliche Reichsinsignien im Historischen Museum Frankfurt.

Das Rad der Geschichte hat sich weiter gedreht, aber am menschlichen Streben nach Macht hat sich nichts geändert, nur die Methoden haben sich verfeinert. Wir tun gut daran unseren zeitgenössischen „Herrschern“ auf die Finger zu schauen und notfalls auch mal kräftig darauf zu klopfen. Die Welt wird nicht besser solange genau solche Charaktere die Gewinner bleiben.

Beitrag von Peter Mäder

Quellen

Die Merowinger und das Frankenreich, von Eugen Ewig, Verlag Kohlhammer, ISBN 978-3-17-022160-4
Stammbaum der Merowinger, von Florian Seiler, 2005
Fredegar Chronik, manfred-hiebel.de
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