Der Hocker von Oberfacht

Den idealen geologischen Gegebenheiten, die ich schon an anderer Stelle erwähnt habe, verdanken wir auch die Erhaltung von Stühlen, Hockern, Betten und Tischen aus archäologischen Grabfunden. Zwei dieser Möbelstücke, einen Hocker und einen Stuhl sowie deren Rekonstruktion, möchte ich im nachfolgenden Beitrag vorstellen.


Bild: Holzhandwerk der Alemannen von Peter Paulsen und Helga Schach-Dörges

Der solide und zweckmässig konstruierte Hocker aus dem Gräberfeld von Oberflacht, der einem verstorbenen Alemannen ins Grab gestellt wurde, verrät den geübten Handwerker. Die Materialanalyse ergab, dass der Hocker aus Ahorn und Buche gefertigt wurde.



Kanthölzer aus hellem Ahorn bildeten das Ausgangsmaterial für die vier gedrechselten  Pfosten, bzw. Stuhlbeine.



Daraus wird mit etwas Geschick eine runde Sache.



Die Stuhlbeine müssen genau ausgemessen werden, damit sie alle gleich lang und dick werden, aber auch, damit sich die Säulen und Wulste alle auf gleicher Höhe befinden. Ohne Vermassung - oder ohne Zuhilfenahme einer Schablone – ist es nicht möglich, vier identische Stuhlbeine herzustellen. Ob und womit damals gemessen wurde ist nicht bekannt. Die Verwendung  von Schablonen scheint mir die wahrscheinlichste Methode gewesen zu sein, mit denen der alemannische Handwerker solch prächtige Möbelstücke herstellen konnte.

In Ergänzung zum Originalstück, wie es auf der Zeichnung zu sehen ist, brachte ich an den Stuhlbeinen dekorative  Zierrillen an.



Einfärben der Rillenzier mit einem dunklen Holzstück. Dadurch entsteht ein reizvoller Kontrast zum hellen Ahornholz und hebt die Rillenzier hervor. Diese Art der  Verzierung ist zwar am Hocker von Oberflacht nicht nachgewiesen, kam aber bei verschiedenen anderen Objekten – u. a. an einem Bett mit reicher Drechselzier aus einem Adelsgrab - zur Anwendung.



Durch schnelles und kräftiges  Reiben des dunkeln Holzstücks in den Vertiefungen können problemlos auch die Längsrillen eingefärbt und damit hervorgehoben werden.



Fertige Verzierung an einem der Pfosten, bzw. Stuhlbein.



Die vier Stuhlbeine sind identisch bis auf die Rillenzier, die ich nur mal so aus dem Handgelenk heraus eingekerbt habe. Die Unregelmässigkeiten mögen vielleicht als störend empfunden werden, aber diese kleinen Abweichungen verleihen dem Stuhl einen
 ‚Touch of Handmade‘.



Damit die Schlitze für die Verzapfung einfacher herausgearbeitet werden konnten, wurden diese zunächst vorgebohrt und anschliessend mit dem Beitel passgenau herausgestemmt.





Anschliessend werden zunächst die beiden Seitenteile zu einem Rahmen zusammengefügt. Der Stuhl ist mit Schlitz- und Rundzapfen derart raffiniert konstruiert, dass sich die einzelnen zusammengesteckten Teile durch sich selbst halten und letztlich nur die runden Zapfen mit Keilen befestigt oder geleimt werden müssen.

Mit diesem modernen Hilfsmittel habe ich auf nicht ganz authentische Weise die Zapfen für die Verbindung der Querleisten geschnitten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




Auf diesem Bild ist der fertig herausgearbeitete Zapfen gut zu erkennen.



Wie einfach und ebenso genial die Verbindung über Eck gelöst wurde, so dass sie in sich selbst verankert ist, zeigt dieses Bild. Ich liebe diese Schlichtheit und Ästhetik!



Der Hocker von Oberflacht. Ein wunderschönes Stück mehr in meiner Sammlung und ein weiteres Stück wachsender Bewunderung für die Handwerkskunst der damaligen Menschen.

Der unten abgebildete wunderschöne Stuhl, wurde von Armin Letsch nach einem weiteren Fund in Oberflacht rekonstruiert. Material und Aufbau sowie die Verbindungstechnik sind identisch mit dem oben beschriebenen Hocker. Dieses Replikat, das ebenso wie das Original für die Handwerkskunst des Erbauers spricht, hat bei mir in zweierlei Hinsicht einen besonderen Platz und Status erhalten. Einmal ist es die überaus gediegene Drechselarbeit und darüber hinaus ein besonderes Erinnerungsstück an einen liebenswert guten Menschen – denn Armin weilt nicht mehr unter uns.


 



Nachbauten von Peter Mäder und Armin Letsch

Fotos von Peter Mäder, sofern kein anderer Quellenhinweis besteht


Quellen

Holzhandwerk der Alemannen, Peter Paulsen und Helga Schach-Dörges, Württembergisches Landesmuseum Stuttgart 1972