Der Hausbau

Die prächtigen Villae rusticae mit ihren landwirtschaftlichen Einrichtungen verfielen langsam, nachdem sie von ihren römischen Besitzern aufgegeben worden waren. Wir wissen, dass die Aufgabe nicht nur freiwillig erfolgte. Viele der Römer flüchteten oder wurden bei den seit 235 n. Chr. wiederholten Germanischen Einfällen und Raubzügen erschlagen.



Beispiel: Rekonstruktion der römischen Villenanlagen Borg, im Saar-Mosel-Raum

Bei den eingeschlagenen Schädeln aus dem Brunnen der römischen Villa in Regensburg – Harting dürfte es sich um die einstigen Bewohner des Anwesens handeln. Ausgeplündert, erschlagen und unzimperlich in den Brunnen geworfen.

Bild: Spuren der Jahrtausende, Archäologie und Geschichte in Deutschland

 

 

Als die Alemannen im 5. Jahrhundert letztlich die verlassenen römischen agri decumates wieder besiedelten und rekultivierten, bauten sie ihre traditionellen Häuser neben oder in der Umgebung der römischen Villen. Ein kultureller Rückschritt, behaupten die einen. Tatsächlich, frage ich?
Nun, wenn man dem vielzitierten Publius Cornelius Tacitus glauben schenken mag, dann scheint es so. Er schrieb über den Hausbau der Germanen:

Jeder umgibt sein Haus mit freiem Raum, sei es zum Schutz gegen Feuersgefahr, sei es aus Unkenntnis im Bauen. Nicht einmal Bruchsteine oder Ziegel sind bei ihnen im Gebrauch; zu allem verwenden sie unbehauenes Holz, ohne auf ein gefälliges oder freundliches Aussehen zu achten.

Verzeihen wir Tacitus, was er in Unkenntnis der germanischen Bautradition zusammenfaselte und die er mit seinen römischen Vorstellungen vom wilden, raufenden und saufenden Barbaren ergänzte:

[...] und nicht so leicht könnte man einen Germanen dazu bringen, das Feld zu bestellen und die Ernte abzuwarten, als den Feind herauszufordern und sich Wunden zu holen; es gilt sogar für träge und schlaff, sich mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erringen kann.

Hand aufs Herz, glauben Sie das wirklich? Lebte so eine sich selbstversorgende, autarke  Bauerngemeinschaft?

Im Gegensatz zu den Römern führten die Alemannen zwar keine Gutsbetriebe, die wie ein Wirtschaftsunternehmen dem Gelderwerb dienten und erhebliche Überschüsse produzieren mussten, um damit Handel zu trieben und Städte und Legionslager zu beliefern. Das heisst aber nicht, dass sie in dunklen, rauchigen und zugigen Löchern hausten und gegenüber den höhlenbewohnenden Jäger und Sammler den einzigen Vorteil hatten, den Standort ihrer ‚Höhlen‘ frei wählen zu können.



Modell eines Alemannischen Gehöfts mit Speicher Nebengebäuden und Grubenhäusern

Noch etwas: Nicht alle Römer wohnten in Villen, genausowenig wie wir heute, auch wenn das einige glauben machen wollen. Die Behausungen der normalen Bevölkerung  war sehr einfach und bestanden aus einer Konstruktion behauener Balken, die aber auch mit Flechtwänden und Lehmverputz versehen waren,  ähnlich wie bei den Alemannen.



Mit dem Unterschied, dass die Ruten senkrecht geflochten und die Dächer mit Ziegeln bedeckt waren. Da die Germanen keinen eigenen Begriff für diese Art von Dachbedeckung kannten, entlehnten sie das lateinische Wort „Tegula“, woraus (mit der Lautverschiebung) unser gebräuchliches Wort „Ziegel“ wurde. Mit der Mauer (lat. Mura) ging das genauso. Insofern hat Tacitus recht, als er sagte, dass sie nicht einmal Ziegel oder Bruchsteine verwendeten, um Häuser zu bauen.



Wenden wir uns nun dem alemannischen Hausbau zu.

Die Haustypen
 



Diese beiden Häuser wurden in der Pfostenbauweise erstellt. Deutlich sind in den nebenstehenden Grabungsbefunden die Pfostenlöcher (schwarze Punkte) im Erdreich zu erkennen. Das oben abgebildete, einschiffige Gebäude, ist mit einem Sparrendach, das untere, zweischiffige Haus, mit einem Pfettendach ausgestattet. Grosse, vierschiffige Häuser, so wie sie hierzulande bisher nur im Fricktal und in der Nordostschweiz nachgewiesen sind, dürften ein Walmdach getragen haben.

Die Konstruktionsweisen der alemannischen Häuser waren sehr vielfältig und beschränkten sich  nicht auf die allseits bekannte Form des Langhauses. Die Abbildungen links zeigen ein Haus in Ständerbauweise mit Vorbau oder Portikus, wie es in Develier/Courtetélle ergraben wurde.

 

 
 

Gerade dieser Haustyp, wie auch Blockbauten erfordern nicht zwingend einen Bodeneingriff, weshalb ihr Nachweis  - im Gegensatz zu den Grubenlöchern der Pfostenbauten - archäologisch  schwer nachweisbar ist.

Abbildungen: Rekonstruktion und Grabungsbefund. SPM Band IV, Seite 110

 

 

 

Da bei diesem Gebäude kaum Spuren von Wandlehm nachweisbar waren, darf davon ausgegangen werden, dass die Wände dieses repräsentativen Baus aus Holzbohlen bestanden. Weiter konnte ein Holzboden nachgewiesen werden, was zwar sehr selten ist, aber nicht heisst, dass Holzböden nicht gängig waren.

Auf dem Bild rechts wird in Gachnang/Niederwil-Egelsee gerade der Holzboden eines pfynzeitlichen Hauses freigelegt.
Die jungsteinzeitliche Pfyner Kultur ist um ca. 3900 bis 3500 vor unserer Zeit anzusiedeln.

Glauben Sie, dass die Alemannen 4000 Jahre später auf der nackten Erde um ein Feuer hockten, nur weil die Archäologen keinen Holzboden nachweisen können?

Bild: Archäologie im Thurgau, Hansjörg Brem, Urs Leuzinger et al. Herausgegeben vom Amt für Archäologie Thurgau.

 

 

Heuboden in den Ställen können archäologisch auch nicht nachgewiesen werden, aber wir wissen zum Glück, aufgrund einer Passage in der Lex Alamannorum, dass es sie gab. – Und nun lautet meine Frage, wie weit ist so ein Heuboden von einem Dachboden entfernt?

Geschickte Handwerker
 

Die Ständerbauweise ist uns seit der Bronzezeit, aber auch aus der Alemannensiedlung Lauchheim-Mittelhofen bekannt, was jedoch voraussetzt, dass die Balken sehr wohl behauen werden mussten. Das Vorhandensein von Bohlenwänden und Bretterböden
zeigt, dass deren Herstellung bestens bekannt war und dass sie auch entsprechen vielseitig eingesetzt wurden.
   


Bilder: Die Alemannen, Katalog zur Ausstellung, Baden Württemberg

Diese Gerätschaften - und noch viele mehr - wurden von alemannischen Handwerkern hergestellt. Sie mögen dem Betrachter als Beispiel dafür dienen, was für hervorragende Holzhandwerker sie waren.



Was liegt da näher, als die Vermutung, dass sie im Hausbau ebenso grosses Geschick bewiesen?  Hätten sonst (die seit dem Neolithikum bekannten) Grundprinzipien des alemannischen Hausbaus – zumindest was den Pfosten-, Ständer- oder den Fachwerkbau betrifft – bis in unsere Zeit Fortbestand gehabt? Und noch etwas: Es beweist die Eigenständigkeit der
Alemannen, und dass sie weder Erben, noch Nachahmer oder Imitatoren des Imperium Romanum waren, sondern eine neue abendländische Kultur prägten. Eindrücklicher als im eigenen Baustil kann man kein Imperium ignorieren!



Ich ergreife an dieser Stelle die Gelegenheit, meine eigenen Umsetzungen und Interpretationen der Funde, rund um den Alemannischen Hausbau zu erörtern. Ich masse mir an, dass diese genauso wissenschaftlich sind wie die übrigen Theorien. Sie haben nur einen Vorteil: Sie stützen sich auf den Menschen mit einem seiner grössten Wünsche – dem Bedürfnis nach Behaglichkeit, Wärme und Sicherheit.

Elemente der Hausbaus
 



Schauen wir uns die Elemente dieses Schwellbalkenbaus einmal genauer an.



Links sehen wir die Ständer, welche auf dem Schwellbalken ruhen und gleichzeitig  finden wir die gewundenen Ruten (daher Wand = gewunden) in den Zwischenräumen, die später mit Lehm verputzt werden.

Rechts können wir eine Bohlenwand aus senkrechten Spaltbohlen sehen, ebenfalls ein Element des Hausbaus. Diese Art von Anbau oder Schuppen finden wir immer auf der Nordseite der Häuser, wo sie als Erste Aussenhaut des Hauses die Kälte aufhielten und so zur Isolation beitrugen.



Es ist nicht ganz klar, ob darin Holzvorräte aufbewahrt, oder ob dort Hühner gehalten wurden. Vielleicht auch beides. Deshalb sowohl die Gitterstäbe, als auch Spaltklotz, Axt und Holzscheite. Links der Boden aus Spaltbohlen und eine Leiter, die auf den Dachboden führt.



Der „Küchenboden“ dürfte aus Feuerschutzgründen aus gestampftem Lehm bestanden haben, an den sich in sicherer Entfernung der auf Holzspältlingen ruhende Bohlenboden anschloss.



Von einem Dachboden ist auszugehen, da wie erwähnt, der Heuboden bekannt war. Praktisch und trocken, ein Aufbewahrungsort für Vorräte und alles Mögliche. Über der Feuerstelle blieb er offen, um den Rauchabzug zu gewährleisten. Der Dachboden hat aber einen entscheidenden Vorteil, wie die schematische Darstellung der Wärmevereilung durch das Herdfeuer zu verdeutlichen mag. Um das herauszufinden, brauchte man nicht Physiker sondern lediglich Pragmatiker zu sein.


 

Das Wohnstallhaus
 

Wenn im Zusammenhang mit alemannischen Langhäusern von sogenannten Wohnstallhäusern die Rede ist, dann war es sicherlicht nicht so, dass man wie Maria und Josef mit Esel und Rind im selben Stall wohnte. Ebenfalls aus der Lex alamannorum wissen wir, dass so ein Langhaus mehrere Zugänge hatte.





Die Pfostenstellungen verraten uns meist, wo diese lagen, wie dieses Beispiel aus Lauchheim-Mittelhofen verdeutlicht. Dort wo sich das grosse Seitentor befindet, lag auch die Trennung von Stall und Wohnteil. Zumindest lassen Bodenproben diesen Schluss zu. Erinnert es Sie nicht auch irgendwie an die Scheunentore und Tenne unserer Bauernhäuser, wo das Heu eingefahren wird?

Foto: Heustock, Rekonstruktion eines Stalles in Ribe, Priscilla und Ben Rey

Gab es Fenster ?

Gab es ausser der Rauchöffnung unter dem Dachgibel, dem germanischen Windloch, aus dem sich das englische Wort ‚Window‘
herleitet, noch andere Öffnungen, die man als Fenster bezeichnen könnte?

Natürlich waren es nicht solche, wie wir sie kennen und schon gar nicht welche aus Glas. Aber die Frage, ob die guten Alemannen
tatsächlich im Dunkeln tapten ist berechtigt.

Fotograf unbekannt: Restaurierte Poplar Cottage in East Sussex

 

 



War das Feuer, nebst ein paar Talglichtern und Kienspähnen die einzige Lichtquelle in den Häusern? Aber wie arbeitete man unter solchen Bedingungen und verrichtete das Tagesgeschäft?



Die verschiedenen Kerzenleuchter, die wir aus alemannischen Gräbern kennen, dürften wohl nur in den Häusern der Adelsschicht gebrannt haben. Ob sie auch Rohhautlaternen besassen, wie sie aus dem 8. Jahrhundert belegt sind, wissen wir nicht.



Ich gehe von mit Rohhaut bespannten Rahmen als Fenster aus, so wie hier auf dem Bild, links neben der Türe. Ob zum Schieben oder Aufklappen, spielt keine Rolle, aber sie liessen Licht herein, ohne Durchzug und einen grösseren Wärmeverlust zu schaffen, was gerade im Winter wichtig war.

Lehmverputz und Dach
 

Das Grundgerüst aus Hasel- oder Weidenrutengeflecht wurde mit gut gestampftem Lehm, dem Strohhäcksel und Kuhmist beigemengt wurde, verputzt. Weshalb Kuhmist? Dieser verhinderte den Pilzbefall, so zu sagen als natürliches Fungizid!

Lehmwände haben, wie wir nach den modernen Ökostandards von Minergie-Häusern wissen, einen sehr guten Isolationswert (besser als Stein-wände) und schaffen ein ausgeglichenes Raumklima. Die Strohlagen auf dem Dach weisen  Dicken von 50 cm und mehr auf, was über dem Wert einer modernen Dachisolation liegt. Sie sind für unsere Klimazonen auch besser geeignet als römische Ziegel, die mit viel Aufwand und nur durch verbrennen ungeheurer Holzmengen gebrannt werden konnten. Die Alemannen nutzen die natürlichen Ressourcen schonender und verwendeten die natürlichen Rohstoffe in ihrer ursprünglichen Form.

Dächer wurden meist mit Roggenstroh gedeckt, das ohnehin nach der Ernte anfiel oder mit Schilf das an Ufern und in Feuchtgebieten wuchs. Sie verwendeten je nach Gebäude auch Brettschindeln und in gewissen Regionen sogar Schiefer- und Steinplatten.



Links Modell und rechts Nachbau eines mit Schindeln eingedeckten alemannischen Speichers. Wenn Sie jetzt Ähnlichkeiten mit einem Walliser-Speicher entdecken, so haben Sie richtig hingesehen. Die Bauweise der Walliser-Speicher ist seit der Bronzezeit belegt und bedurfte, seiner Perfektion wegen, keiner Veränderung mehr. Der Nachbau steht im Aussengelände des Alemannenmuseums in Ellwangen.

Die Mythologie des Bauens
 

Erinnern wir uns an Tacitus, als er sagte: Jeder umgibt sein Haus mit freiem Raum, sei es zum Schutz gegen Feuersgefahr, sei es aus Unkenntnis im Bauen.

In der mythologischen Welt der Alemannen gab es Kobolde, Elfen, Zwerge und Riesen und vor denen, die es nicht gut mit den Menschen meinten, galt es sich zu schützen. Einmal, indem man den freien Raum um sein Gehöft einzäunte.

Bild: Übersicht über die Siedlung Lauchheim- Mittelhofen, mit den umfriedeten Gehöften. SPM Band VI

Auf und in dieser Umzäunung, dem Hag oder Gehege also, wohnte die „Hagedise“ oder auch „Haga-zussa“ und diese trennte die Innen- von der Aussenwelt, wo eben Kobolde und Co ihr Unwesen trieben. Der Hag mit seiner Bewohnerin hatte also eine magische Schutzfunktion. Soweit zur Unkenntnis des Tacitus.

Im Haus selbst, wurde zur Einweihung ein Hund zeremoniell geopfert und nahe beim Herd oder unter der Schwelle begraben. Nur in der Form als Geistwesen konnte der Hund das Haus vor bösen Geistern beschützen und sie kräftig in den Arsch beissen. Ganz einfach - und jetzt wissen Sie endlich auch, wo der Hund begraben liegt!

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Modelle und Beitrag von Peter Mäder
Fotos (ohne andere Vermerke) Peter Mäder


Quellen:

Archäologie im Thurgau, Hansjörg Brem, Urs Leuzinger et al. Herausgegeben vom Amt für Archäologie Thurgau

Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter, SPM Band VI

Die Alemannen, Katalog zur Ausstellung Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg

Religion und Mythologie der Germanen, Jan Pieter de Vries

Empfehlung:

Besuchen Sie die Seite www.alemannendorf.ch

und das Alamannenmuseum Ellwangen Deutschland, Haller Strasse 9, Ellwangen

www.alamannenmuseum-ellwangen.de